Der interpersonelle Kontext

Eine Depression ist eine schwere Krankheit, die bei dem betroffenen Menschen durch die Symptome, die sie verursacht,  erhebliches Leid verursachen kann. Dennoch betrifft diese Erkrankung nicht nur den Einzelnen, denn sie wirkt sich automatisch auch auf die Mitmenschen des Erkrankten aus und diese wirken wiederum auf ihn zurück. Insofern ist das gesamte interpersonelles Bezugssystem eines erkrankten Menschen, d.h. Partner(in), Kinder, Familie, Freunde, Arbeitskollegen usw. von der Depression mit betroffen bzw. über Konfliktsituationen oder tragische Lebensereignisse manchmal auch unbewusst mit an der Aufrechterhaltung oder gar Entstehung der depressiven Symptomatik mit beteiligt.

Dabei können interpersonelle Faktoren in verschiedenen Krankheitsphasen eine sehr wichtige Rolle spielen, z.B.:

  • Zwischenmenschliche Konflikte können mit daran beteiligt sein, Depression auszulösen und aufrecht zu erhalten.
  • Das Wegfallen wichtiger zwischenmenschlicher Beziehungen (Trennung, Tod) kann ebenfalls depressive Episoden auslösen und aufrechterhalten.
  • Lebensereignisse bzw. sowohl positive als auch negative Veränderungen (Jobwechsel, Geburt eines Kindes, Umzug) führen oftmals dazu, dass wir eine neue Rolle in unserem Leben und somit in unserem sozialen Umfeld einnehmen müssen – auch dies kann überfordernd oder mit Ängsten besetzt sein und mit zu der Entstehung einer Depression beitragen.

Mittlerweile erkennt man zunehmend die zahlreichen Faktoren, die bei der Depressionsentstehung eine wichtige Rolle spielen, man beschreibt sie mit dem sogenannten biopsychosozialen Krankheitsmodell, d.h. es werden biologische (z.B. genetische), psychische (z.B. Kognitionen) und soziale Faktoren berücksichtigt.

Auch die interpersonelle Psychotherapie arbeitet natürlich mit diesem Krankheitsmodell, legt aber einen besonderen Wert auf die sozialen (und damit auch interpersonellen Faktoren) in diesem Entstehungsmodell, da zahlreiche wissenschaftliche Studien (epidemiologische Studien, Life-event-Forschung, Expressed-emotion-Forschung usw.) den starken Einfluss von Lebensereignissen und interpersonellen Faktoren auf Depressionen belegen. Umgekehrt belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien, welche die interpersonelle Psychotherapie mit anderen Therapieverfahren bei depressiven Patienten verglichen haben, dass diese mit ihrem interpersonellen Ansatz im Vergleich hochwirksam ist, so dass sie in nationalen und internationalen Behandlungsleitlinien für Depressionen als mindestens gleichwertig mit der kognitiven Verhaltenstherapie dargestellt wird.

Im Rahmen einer interpersonellen Psychotherapie wird daher zusammen mit dem betroffenen Menschen zunächst der aktuelle  interpersonelle Kontext, in dem die Depression entstanden ist und in dem er sich aktuell befindet, erarbeitet. Dies geschieht in der Regel an einem Whiteboard oder Flipchart in Form einer Beziehungsanalyse und kann als Ergebnis z.B. so aussehen:

 

Beziehungsanalyse

 

Daraufhin werden die Wechselwirkungen zwischen interpersonellen Belastungen, wie z.B. einem Paarkonflikt oder einer neuen sozialen Rolle, und der Depression erarbeitet und gegebenenfalls auch grafisch dargestellt. Weiterhin wird gemeinsam erarbeitet, ob und in welcher Form die aufgetretene Depression zu neuem interpersonellen Stress beigetragen hat, z.B. weil der erkrankte Mensch sich zunehmend sozial zurückgezogen hat (evtl.  Freunde vernachlässigt hat) oder Rollenerwartungen (z.B. die Mutter, die ihre Kinder aufgrund der ständigen Erschöpfung nicht mehr richtig versorgen kann) nicht erfüllen kann.

Bei der Analyse und Bearbeitung interpersoneller Schwierigkeiten kommen unter Umständen auch Hilfsmittel wie der Kiesler-Kreis zum Einsatz, um Gesetzmäßigkeiten in zwischenmenschlichen Interaktionen darzustellen und in konkreten Situationen zu analysieren. In Rollenspielen versuchen Therapeut und Patient dann gemeinsam, interaktionelle Schwierigkeiten zu bearbeiten.

Diese interpersonellen Zusammenhänge stehen im Fokus der interpersonellen Psychotherapie, allerdings werden auch die weiteren Komponenten des biopsychosozialen Depressionsmodells nicht ausgeblendet. In unterschiedlichen Therapiephasen werden diese entsprechend gewürdigt und eingesetzt, um zu einer möglichst raschen Besserung der depressiven Symptomatik beizutragen.