Dr. Janine Selle ist Psychotherapeutin und als leitende Psychologin im Klinikbereich tätig. Zusätzlich engagiert sie sich in sozialen Medien (Instagram: @dasklemmbrett) für die Aufklärung und Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen. Foto ©️ Marko Bußmann – beauty-shooter.de

Interview mit Dr. Janine Selle zu Aufklärung und Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen

Entstigmatisierung von Psychotherapie: Informationen vermitteln, Ängste abbauen

Aufklärung und Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen: Dies ist ein zentrales Anliegen der Psychotherapeutin Dr. Janine Selle. Hierbei setzt sie auch auf soziale Medien. Mit moodify hat sie zudem ein Tagebuch für Therapie und Selbstreflexion herausgegeben, das die Protokollierung von Stimmungslage, Selbstfürsorge und Aktivitäten ermöglicht und sich zum Festhalten von Reflexionen, Wünschen und Zielen eignet. Im Gespräch erläutert sie Details und Hintergründe ihrer Arbeit und zur Publikation.

Dr. Janine Selle ist Psychotherapeutin und als leitende Psychologin im Klinikbereich tätig. Zusätzlich engagiert sie sich in sozialen Medien (Instagram: @dasklemmbrett) für die Aufklärung und Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen. Foto ©️ Marko Bußmann – beauty-shooter.de

Dr. Janine Selle ist Psychotherapeutin und als leitende Psychologin im Klinikbereich tätig. Zusätzlich engagiert sie sich in sozialen Medien (Instagram: @dasklemmbrett) für die Aufklärung und Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen. Foto ©️ Marko Bußmann – beauty-shooter.de

Zentrum: Sehr geehrte Frau Dr. Selle, Sie setzen sich für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Psychotherapie ein. Was hat Sie dazu bewegt dies zu tun?

Selle: Das Aufklären und Entstigmatisieren von psychischen Erkrankungen und von Psychotherapie selbst gehört im Beruf der Psychotherapeutin zum Alltag. Wenn ich oder meine KollegInnen neue PatientInnen kennenlernen, finden sich oftmals bei ihnen jede Menge Angst, Scham oder Schuldgefühle. Obwohl wir aus meiner Sicht diesbezüglich Fortschritte machen, ist es manchmal unglaublich, welche Vorurteile und Fehlannahmen über die Psyche von Menschen existieren. Daher wird in einer psychotherapeutischen Behandlung eben auch viel Wert darauf gelegt, dem Patienten oder der Patientin viele Informationen über sein oder ihr Krankheitsbild zu vermitteln und mögliche Ängste anzusprechen und aufzuklären. Dies ist für viele sehr entlastend und als Psychotherapeutin empfinde ich diesen Prozess als sehr wichtig und befriedigend. Soziale Netzwerke wie Instagram geben mir die Möglichkeit diese Arbeit nicht nur im Rahmen von Einzelgesprächen durchzuführen, sondern gleichzeitig viele Menschen zu erreichen.

 

Zentrum: Wen wollen Sie damit erreichen, und auf welchen Wegen?

Selle: Auch wenn ich die Aufklärung und Arbeit im Einzelsetting sehr befriedigend finde und fand, war ich gleichzeitig zunehmend oft frustriert. Es kam mir manchmal vor wie ein Tropfen auf einem heißen Stein – dass sich gesellschaftlich einfach zu wenig, zu langsam tut, und ich verspürte zunehmend den Wunsch mehr Menschen gleichzeitig erreichen zu wollen. Zudem darf man nicht vergessen, dass wir in unserem Alltag als PsychotherapeutInnen nur auf die Menschen treffen, die bereit waren, eine professionelle Behandlung oder zumindest ein Erstgespräch wahrzunehmen. Viele Menschen kommen trotz eines enormen Leidensdrucks aber gar nicht oder erst sehr spät in eine Behandlung. Auch diese gilt es unbedingt zu erreichen.

D.h. im Grunde veröffentliche ich Posts und Storys auf Instagram für alle, die ein Interesse an Psychologie und Psychotherapie haben. Ob man selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen ist, jemanden kennt, der Probleme mit seiner seelischen Gesundheit hat oder einfach nur ein bisschen mehr über diese Themen erfahren will, ist dabei völlig egal. Mir ist es wichtig, Sachverhalte fachlich richtig und gleichzeitig gut verständlich darzustellen, damit jeder oder jede etwas mitnehmen kann.

Zentrum: Auf Instagram @dasklemmbrett entwickeln sich rege Diskussionen zu Ihren Posts. Was nehmen Sie als Autorin von dort mit an Infos?

Aufklärung über Psychotherapie und psychische Erkrankungen per Social Media: Unter Instagram: @dasklemmbrett veröffentlicht Dr. Selle Posts und Storys für alle, die ein Interesse an Psychologie und Psychotherapie haben

Aufklärung über Psychotherapie und psychische Erkrankungen per Social Media: Unter Instagram: @dasklemmbrett veröffentlicht Dr. Selle Posts und Storys für alle, die ein Interesse an Psychologie und Psychotherapie haben

Selle: Tatsächlich geht es häufig um Fragen zu bestimmten Störungsbildern und um die Suche nach geeigneter Behandlung. Nach wie vor wissen viele nicht, welche Behandlungsmöglichkeiten es eigentlich gibt, wie die Kontaktaufnahme oder auch die Kostenübernahme verläuft. Leider bekomme ich auch einfach oft zu lesen, wie schwer es ist, einen geeigneten Therapeuten oder eine geeignete Therapeutin zu finden, Nachrichten über die langen Wartelisten und manchmal anstrengende Bürokratie kommen häufig. 

Es macht mir viel Spaß mich bei Instagram mit anderen auszutauschen, ich profitiere von den ganz unterschiedlichen Sichtweisen und man sieht immer wieder, wie gut es tut in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. Zudem ist es sehr schön zu sehen, wie sich Menschen auf dieser Plattform gegenseitig unterstützen können und wie viele tolle Ideen zusammenkommen, wenn tolle Menschen zusammenkommen.

Mit moodify hat Dr. Janine Selle ein Tagebuch für Therapie und Selbstfürsorge herausgegeben. Erschienen im Junfermann Verlag, ISBN: 978-3-95571-910-4, 15 Euro, Infos unter https://t1p.de/zqks

Mit moodify hat Dr. Janine Selle ein Tagebuch für Therapie und Selbstfürsorge herausgegeben. Erschienen im Junfermann Verlag, ISBN: 978-3-95571-910-4, 15 Euro, Infos unter https://t1p.de/zqks

Zentrum: Sie haben mit moodify ein Tagebuch zur Selbstbeobachtung und Selbstreflexion herausgegeben. Worin unterscheidet es sich von anderen, gängigen Methoden?

Selle: Im Prinzip sind die Methoden in moodify mehr oder weniger leichte Abwandlungen von ganz gängigen Methoden aus der Verhaltenstherapie. In moodify habe ich meine Liebsten ausgesucht und sie anschaulich in einem Buch zusammengetragen.

 Zentrum: Provokant gefragt – kommt es nicht eher auf die Inhalte statt auf das Design an?

Selle: Natürlich ist der Inhalt enorm wichtig. Aber auch wenn inhaltlich gute Ideen bzgl. Selbstbeobachtungsübungen existieren, passiert es gar nicht so selten, dass diese dann doch nicht umgesetzt werden. Und das kann eben auch an der Umsetzung dieser Übungen liegen, bspw. weil nicht genug Platz zum Eintragen ist, weil es nicht verständlich dargestellt wurde, weil es zu viel Zeit in Anspruch nimmt oder weil ich einfach nicht mehr weiß, wo ich den Zettel nach der letzten Sitzung hingepackt habe. Eine gute Selbstbeobachtung ist oftmals ein länger überdauernder Prozess und muss somit so gut wie möglich in den Alltag integriert werden. Daher sind ein guter Inhalt und ein gutes Design enorm wichtig. 

 

Zentrum: Sie sind selbst Psychotherapeutin. Setzen Sie moodify auch bei Ihren Patienten ein? Wie ist die Resonanz? Wo sind die Grenzen des Konzepts?

Selle: Alle Methoden in moodify habe ich schon sehr oft mit verschiedenen PatientInnen benutzt. Ob diese Übungen passen oder nicht, ist natürlich sehr individuell. Besonders geeignet sind sie für alle, die möglicherweise Probleme mit ihrer Selbstfürsorge haben, ihre Stimmungslage beobachten wollen oder moodify nutzen wollen, um Aktivitäten zu planen oder sich besser zu strukturieren. Im therapeutischen Bereich trifft das beispielsweise sehr auf PatientInnen mit depressiven Erkrankungen zu. Dennoch muss moodify nicht immer und überall passen. Wenn es wichtig ist, andere Symptome oder Beschwerden zu beobachten, erstelle ich mit meinen PatientInnen dafür ganz spezifische eigene Protokolle o.ä.

 Zentrum: Gibt es neben dem Tagebuch spezielle Übungen, die Sie besonders zur Steigerung der Selbstreflexion empfehlen würden?

Selle: Steigerung der Selbstreflexion ist ziemlich allgemein, diesbezüglich eine spezielle Übung auszuwählen würde mir jetzt sehr schwer fallen. Wichtig ist aus meiner Sicht vor allem, dass man sich Zeit nimmt, so banal das manchmal klingt. Wenn man gerne mehr über sich erfahren möchte, passiert das nicht einfach so nebenbei. Es ist wichtig dafür auch Gelegenheiten zu schaffen, gerne ohne TV oder Podcast im Hintergrund. Vielleicht ist es hilfreich Tagebuch zu schreiben, lange Spaziergänge zur Routine werden zu lassen oder zu meditieren. Vielleicht hat man aber auch eine gute Freundin oder einen guten Freund zur Seite, mit dem man tiefe Gespräche führen kann oder sucht das Gespräch mit einem Fachmann oder einer Fachfrau.

 Zentrum: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

Dr. Janine Selle ist Psychotherapeutin und als leitende Psychologin im Klinikbereich tätig. Zusätzlich engagiert sie sich in sozialen Medien (Instagram: @dasklemmbrett) für die Aufklärung und Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen.