Interview zur Systemischen Therapie

Interview zur Systemischen Therapie mit Dr. Caby

Im Interview: Systemische Therapie ist jetzt auch Kassenleistung

Seit kurzem gilt eine veränderte Psychotherapie-Richtlinie, wonach die Systemische Therapie Kassenleistung ist. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Dr. med. Filp Caby, erklärt im Interview, wie es zu dieser Bewertung kam, ob auch Kinder und Jugendliche bald davon profitieren, welche Therapieformen künftig angeboten werden und erläutert die Vorzüge der Systemischen Therapie. 

Dr. med. Filip Caby ist Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Seit 1994 leitet er die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Marienkrankenhaus in Papenburg-Aschendorf. Caby wurde 2013 in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) gewählt, seit 2019 ist er Vorsitzender der DGSF.

Dr. med. Filip Caby ist Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Seit 1994 leitet er die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Marienkrankenhaus in Papenburg-Aschendorf. Caby wurde 2013 in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) gewählt, seit 2019 ist er Vorsitzender der DGSF.

Zentrum: Systemische Therapie ist jetzt auch Kassenleistung. Was hat zu dieser Bewertung geführt?

Caby: Bis zu der sozialrechtlichen Anerkennung der Systemischen Therapie im Gesundheitswesen war es ein langer Weg. Bereits 2008 wurde Systemische Therapie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie anerkannt als Psychotherapieverfahren für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen sowie von Erwachsenen. 2013 wurde dann im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) der Antrag gestellt, Systemische Therapie für Erwachsene zu prüfen. Die Bewertung von Studien zur Wirksamkeit Systemischer Therapie erfolgte in einem umfangreichen Gutachten durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Der Überprüfungsprozess im G-BA dauerte fünf Jahre, im November 2018 entschied der Ausschuss dann positiv über den Nutzen Systemischer Therapie. Seit 23. Januar gilt schließlich eine veränderte Psychotherapie-Richtlinie die Systemische Therapie als Kassenleistung vorsieht.

Zentrum: Warum sind Kinder und Jugendliche von der Regelung ausgenommen? Gehen Sie von einer Nachbesserung aus?

Caby: Dass vor allem Kinder- und Jugendliche sehr von ihrem Familiensystem beeinflusst sind, stellt niemand in Frage. Aber für eine Prüfung der Kassenzulassung der Systemischen Therapie auch im Kinder- und Jugendbereich muss jedoch ein neuer Antrag auf Bewertung gestellt werden. Ein solcher Antrag wurde in der Sitzung des G-BA im November angekündigt mit dem Hinweis, ein zügiges Verfahren anzustreben. Somit können wir davon ausgehen, dass relativ bald auch Kinder- und Jugendliche von der Systemischen Therapie als Kassenleistung profitieren können!

Zentrum: Wann sind die entsprechenden Änderungen abgeschlossen?

Caby: Momentan wird an vielen Stellen gearbeitet. Neben der Psychotherapie-Richtlinie muss auch die Grundlage für die Abrechnung vertragsärztlicher und vertragspsychotherapeutischer Leistungen, der EBM, ergänzt werden. Bestehende Formulare und Regelungen müssen angepasst werden. Voraussichtlich ab Juli 2020 kann Systemische Therapie mit den Gesetzlichen Krankenkassen tatsächlich abgerechnet werden. Therapeutische Leistungen zu Lasten der Krankenkassen abrechnen können dann Psychologische Psychotherapeuten/Psychotherapeutinnen mit systemischer Fachkunde und psychotherapeutisch tätige Ärztinnen/Ärzte mit der entsprechenden Abrechnungsgenehmigung.

Zentrum: Ist davon auszugehen, dass z.B. depressive Patienten mit belastender familiärer oder beruflicher Situation eher von einer systemischen Therapie profitieren als z.B. Patienten mit einer sog. „endogenen Depression“?

Caby: Nein, sowohl die sogenannte reaktive (heute auch Anpassungsstörung genannt) als auch die sogenannte endogene Depression (heute rezidivierende depressive Störung genannt) sind Indikationen für die systemische Therapie. Oft leiden Kinder ebenfalls unter der Depression eines Elternteils. Eine Stärke der Systemischen Therapie ist es, zum Beispiel Kinder psychisch kranker Eltern oder den jeweiligen Partner / die Partnerin ebenfalls in den Blick zu nehmen. Therapeutische Interventionen können sich positiv auf das eigene Verhalten oder Beziehungen auswirken und somit auch den Umgang mit der Depression verändern, wodurch der Leidensdruck abnimmt. Auch körperliche Erkrankungen können in der Folge der Belastung depressive Störungen hervorrufen.

Zentrum: Wie würden Sie einem Patienten erklären, welchen Vorzug eine systemische Therapie im Gegensatz zu den anderen Therapieverfahren für ihn haben könnte?

Caby: Systemische Therapie bietet nicht nur einen Blick auf das System und die Beziehungsgefüge eines Menschen, auch einer Problembeschreibung oder einem Symptom wird lösungs- und ressourcenorientiert begegnet. Gute Seiten eines Problems und dessen Stellenwert für das (Familien-) System können auf diese Weise entdeckt und gewürdigt werden. Dies ermöglicht eine respektvolle und offene Haltung und Atmosphäre in der Begegnung mit den Anliegen des Patienten oder der Patientin. Neue Ideen und Perspektiven können so einfacher entwickelt werden. Systemische Therapie trägt, dadurch dass wir zukunfts- und lösungsorientiert arbeiten, dazu bei, dass der Patient oder die Patientin selber leichter Lösungen für sein oder ihr Anliegen findet. 

Systemische Therapie zeichnet zudem aus, im Mehrpersonensetting arbeiten zu wollen und zu können. Wenn ein Patient oder eine Patientin einverstanden ist oder die Therapeutin / der Therapeut es für indiziert hält – was für systemisch Arbeitende fast immer so ist  –, dann können Familienmitglieder oder andere wichtige Personen in eine Sitzung eingeladen werden. So kann gemeinsam im System an einer Lösung gearbeitet werden.

Zentrum: Welche Therapieformen (Kurz-, Langzeit) werden künftig angeboten?

Caby: Die Systemische Therapie als Kurzzeittherapie kann bis zu 12 Therapieeinheiten umfassen und auf bis zu 24 Einheiten verlängert werden. Die Langzeittherapie umfasst 36 Therapieeinheiten und kann im Ermessen der Krankenkassen auf bis zu 48 Einheiten bewilligt werden. Eine Umwandlung von Kurzzeittherapie in Langzeittherapie ist im Rahmen eines Gutachterverfahrens möglich.

Zentrum: Wie finden interessierte Patienten Therapeuten, welche die systemische Therapie anbieten? Auf welche Qualifikationen sollte geachtet werden?

Caby: Um Systemische Therapie als Kassenleistung anbieten zu können, benötigen Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen eine Approbation und in der Regel einen Kassensitz. Eine deutschlandweite Versorgung wird sich erst in den nächsten Jahren entwickeln. Die Psychotherapeutenkammer des jeweiligen Bundeslandes informiert sie, wenn sie approbierte systemische Psychotherapeuten oder Psychotherapeutinnen suchen, die kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland haben ebenfalls entsprechende Verzeichnisse. Da es noch über längere Zeit zu wenig kassenzugelassene und systemisch qualifizierte Behandlerinnen und Behandler geben wird, suchen viele selber nach systemischen Fachleuten und tragen die entstehenden Kosten. Eine Datenbank für systemische Fachleute – neben Therapeutinnen und Therapeuten auch weitere, die beispielsweise Beratung, Supervision oder Coaching anbieten – stellen wir auf den Internetseiten der DGSF zur Verfügung. Dabei kann eine Zertifizierung durch die DGSF oder einen anderen renommierten Fachverband ein erster Hinweis auf eine gute Qualifikation der Anbieterinnen und Anbieter sein. 

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

 

Dr. med. Filip Caby ist Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Seit 1994 leitet er die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Marienkrankenhaus in Papenburg-Aschendorf. Caby wurde 2013 in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) gewählt, seit 2019 ist er Vorsitzender der DGSF.