Interview mit der Künstlerin Marie-Luise Gunst

Interview mit der Künstlerin Marie-Luise Gunst zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Ihrem Album „Depression unplugged“

Ich wollte fühlbar machen, was es heißt depressiv zu sein

Aus Leid wird Lied: Musik hat Marie-Luise Gunst während ihren psychischen Erkrankungen nicht nur viel Kraft gegeben. Sie nutzt Kunst und Musik auch, um zu zeigen was psychische Erkrankungen überhaupt bedeuten. Daraus ist das wunderbare Album „Depression unplugged“ entstanden. Es spielt nicht zuletzt eine wichtige Rolle im Bestreben der Schauspielerin, Musikerin und Therapeutin, die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen voranzutreiben.

Zentrum: Liebe Marie-Luise Gunst, mit „Depression unplugged“ haben Sie eine CD nach einer psychischen Erkrankung benannt. Wie kam es zu dieser Idee?

Musikerin, Schauspielerin, Kunst- und Kreativitätsherapeutin, und Botschafterin der Deutschen Depressionsliga: Marie-Luise Gunst

Musikerin, Schauspielerin, Kunst- und Kreativitätsherapeutin, und Botschafterin der Deutschen Depressionsliga: Marie-Luise Gunst

Gunst: Ich bin und war selber betroffen von psychischen Erkrankungen, hatte mit Essstörungen und Depressionen zu tun. In den akuten Phasen meiner Erkrankung ist mir immer wieder aufgefallen, wie schwer man anderen Menschen im Umfeld oder auch gesamtgesellschaftlich erklären kann, was psychische Erkrankungen bedeuten, was sie wirklich in einem auslösen, was sie lahmlegen, wie sie sich anfühlen. Ich wusste aus meinem Beruf, dass Kunst und Musik da wertvolle Transmitter sind, die Gefühle von Mensch zu Mensch übertragen. Ich wollte fühlbar machen, was es heißt depressiv zu sein. Ins Gespräch kommen. Fragen anregen. Musik spricht manchmal da wo Worte versagen. Und es war auch eine Art Transformationsprozess. Durch das Album hat mich der Satz „Aus Leid wird Lied“ begleitet. Letztlich sind Krisen auch Chancen Energien neu zu kanalisieren und vielleicht sogar etwas Gutes, Neues entstehen zu lassen.

Zentrum: „Ich muss ans Licht“ heißt es im Song „Tiefsee.Tief.Seele“. Sind die Songsautobiografisch?

Gunst: Ja, das sind sie. Ich habe in einer akuten depressiven Phase mit dem Album angefangen. Wenn ich die Kraft hatte zu schreiben, habe ich geschrieben. In einer Zeit mit vielen suizidalen Gedanken war das auch eine Art Lebensversicherung. Durch den geschriebenen Song konnte ich wieder fühlen, dass ich doch noch existiere, am Leben bin und eine gerichtete Kraft in mir existiert, die etwas Gutes will und schaffen kann. Das war bei allem Kampf sehr hilfreich und ein kreativer Rettungsanker. Kunst als Überlebensweg, wie Yoko Ono es mal so treffend formuliert hat „Art is a way of survival“.

Zentrum: Die Titel lesen sich wie ein Genesungsprozess: Von „Möge die Nacht mit mir sein“ über „Neue Saiten“ bis hin zu „Ade, Depression“. Ist die CD damit auch als Reise einesErkrankten zu verstehen?

Gunst: Es war mir wichtig, dass das Album nicht nur destruktiv und depressiv ist, sondern auch Wege aus der Depression zeigt. Es war ein spannender Prozess, weil mich das Songwriting am Album durch die Therapie begleitet hat, die Songs konnten also sukzessive durch die neuen, konstruktiven Gedanken der Auseinandersetzung mit meiner Erkrankung und ihrer Geschichte wachsen. Ich wollte beides: Empathie für die tiefen, zerstörerischen Grundgedanken der Depression und Wegweiser für Auswege, Anregungen, Akzeptanz. Manchmal waren die Songs dann wie ein Mantra. Obwohl ich ein heilendes Prinzip noch gar nicht verinnerlicht hatte, kam ein Song zu mir, der mir geholfen hat, das Gefühl festzuhalten und es wirken zu lassen. So war es zum Beispiel mit „Das Gegenteil“.

Zentrum: Auf welchen Ebenen setzen Sie sich noch für die Entstigmatisierung psychischerErkrankungen ein?

Gunst: Wo und wann immer ich es kann. Man nimmt die Erkrankung überall mithin, also sollte man das Engagement zur Entstigmatisierung auch immer dabei haben. Ich mache meine Erkrankungen in meinem kreativen Tun auf und neben der Bühne sehr transparent, darf als Botschafterin der Deutschen Depressionsliga auch öffentlich diese Werte vertreten, das ist wunderbar und wichtig. Aber ich bin grundsätzlich der Meinung, dass auch ein Kneipengespräch über Depressionen genauso wertvoll sein kann, wie eine große Bühne, die viele Menschen erreicht. Es geht mir um verbindliches Miteinander im Gespräch, darum neue Sichtweisen zu eröffnen, Identifikationsräume und Verständnis zu schaffen. Und das schöne ist: das geht überall, wo sich Menschen begegnen.

Zentrum: Wie reagieren Betroffene auf die – nach unserem Kenntnisstand – ungewöhnliche Konfrontation mit psychischen Erkrankungen durch Ihre Kunst?

Gunst: So ungewöhnlich ist es vielleicht gar nicht. In Filmen, Theaterstücken, Musik geht es immer wieder um Depressionen oder andere psychische Erkrankungen, wenn man dafür sensibilisiert ist, fällt einem auf, wie häufig das ist. Aber zur eigentlichen Frage: Ich komme jedesmal gestärkt von meinen Konzertlesungen zurück, auch wenn sie nicht unanstrengend sind. Und das liegt definitiv an den tollen Gesprächen und Begegnungen. Oft machen wir nach dem Konzert noch eine kleine Gesprächsrunde, da wird gelacht, geweint, geschimpft – es ist Raum für viele Emotionen die wichtig sind und Betroffene sind dankbar, sich in diesem Kontext mal nicht fremd sondern verstanden zu fühlen. Immer mal wieder erreichen mich auch Mails, in denen Betroffene erklären, dass der Konzertbesuch oder das Album ein Wendepunkt in der Erkrankung war, Ermutigung zur Therapie oder ständige Begleitung bei der Genesung. Das berührt mich dann immer sehr und ich habe schon die eine oder andere dankbare Träne verdrückt, weil ich nicht gedacht hätte, das Musik soviel bewegen kann.

Zentrum: Was müsste Ihrer Ansicht nach gesamtgesellschaftlich noch getan werden um das Stigma „psychische Erkrankungen“ anzugehen oder gar zu beseitigen?

Gunst: Zuerst: ich finde es tut sich schon sehr viel. In den letzten Jahren haben sich zahlreich guteInitiativen gebildet, die sich im Miteinander und Nebeneinander für mehr Verständnis undAufklärung einsetzen. Da müssen wir weitermachen, weiterdenken. Auch in der Kunst: Musik, Theater, Filme, Podcasts – alles Chancen für mehr Begegnungsräume und damit für mehr Akzeptanz durch Verständnis. Ich sehe aber auch in meiner kreativen Arbeit mit Jugendlichen, wie wichtig es ist, immer früher mit Prävention und Information zu starten, einen gesunden Umgang zu vermitteln. Gerade gestalte ich mit einer großen Krankenkasse ein Medienprojekt zur Prävention von Essstörungen. In der Summe gibt es schon viele, mutmachende Lichtpunkte der Entstigmatisierung, wenn sie wachsen und wir gesamtgesellschaftlich dranbleiben, auch Risikofaktoren minimieren, dann sehe ich gute Chancen für wachsende Toleranz, Akzeptanz und Entstigmatisierung.

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

Infos zur Künstlerin unter www.gunstwerk.com

Video und Hörbeispiele der CR „Depression unplugged“ unter https://www.gunstwerk.com/musik-werk/