Interview zur Wohn- und Architekturpsychologie

„Leistet enorme Dienste im psychotherapeutischen Kontext“

Psychologie und Architektur sind sehr unterschiedlich und haben eine ganz andere Sprache. Obwohl es Bestrebungen gibt die Architekturpsychologie als interdisziplinäres Fach zu etablieren, ist die Anwendung in der Praxis kaum angekommen. Der Architekturpsychologe Mag. Herbert Reichl zeigt im Interview spannende Anwendungsmöglichkeiten auf und erklärt, wie Psychotherapeuten und Psychiater von der Disziplin profitieren können. 

Zentrum: Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es bei der Wohn- und Architekturpsychologie?

Reichl: Überall wo sich Menschen in Räumen und Gebäuden befinden ist deren Einfluss relevant. Je länger dieser Aufenthalt dauert und je intensiver der Anspruch der Menschen an diese Räume ist (z.B. private Wohnungen) umso wichtiger ist diese Mensch / Umwelt Interaktion in Bezug auf gebaute Umwelt. Besondere Bedeutung kommt daher dem Wohnen zu, wobei hier nicht nur die Innenräume sondern das gesamte Wohnumfeld von Bedeutung ist. An zweiter Stelle sind die Arbeitsräume und Bildungseinrichtungen (insbesondere für Kinder) zu sehen, weil hier die Menschen ebenso eine beträchtliche Zeit verbringen. 

Wohn- und Architekturpsychologie ist umso relevanter je mehr die Menschen auf die Räume angewiesen sind. Kinder oder auch gebrechliche Menschen sind daher eine sehr wichtige Zielgruppe, weil sich Fehler noch gravierender auswirken als bei Menschen im mittleren Alter, die flexibel und mobil sind. Viele Fehlentwicklungen bei Kindern haben mit dem Wohnen zu tun. Mangelnde Möglichkeiten der Außenraumnutzung, mangelnde soziale Einbindung in der Nachbarschaft, mangelnder Naturkontakt aber auch falsche Raumanordnungen in der Wohnung sind sehr stark entwicklungshemmende Faktoren.

Zentrum: Warum ist dieser so wichtige Forschungsbereich so wenig in der Öffentlichkeit und auch in der Ausbildung von Psychotherapeuten bekannt?

Reichl: Psychologie und Architektur sind vom traditionellen Selbstverständnis sehr unterschiedlich und haben eine ganz andere Sprache. Obwohl es auf universitärer Ebene bereits seit 50 Jahren Bestrebungen gibt die Architekturpsychologie als interdisziplinäres Fach zu etablieren und obwohl es auch sehr viel relevante Forschung aus unterschiedlichsten Richtungen gibt, ist die Anwendung in der Praxis kaum angekommen. Diesen Mangel greift das Institut für Wohn- und Architekturpsychologie (IWAP) und bietet Weiterbildungen für verschiedenste Berufsgruppen an. Psychotherapie definiert sich als Therapie mit psychologischen Mitteln, was einer Einengung auf die innerpsychischen Prozesse, und einer Ausgrenzung der Lebensumstände, gleich kommt. Doch gerade die Wohnpsychologie könnte im psychotherapeutischen Kontext enorme Dienste leisten, indem die Menschen angehalten werden, ihr Lebensumfeld ihren Bedürfnissen anzupassen. Auch dieses Thema wird bei IWAP behandelt. Ich verweise dabei auf unseren ersten Online Kongress „Räume und Burn Out Prävention“. Die Kongressunterlagen samt Aufzeichnungen der Vorträge können bei IWAP erworben werden.

Zentrum: Gibt es Studien, welche die positive Wirkungsweise belegen?

Reichl: Es gibt so viele Studien, dass es schwer ist, die richtige Auswahl zu treffen. Ich greife den Bereich der „Restorative Environments“ heraus, weil hier sehr direkte gesundheitsrelevante Zusammenhänge zwischen dem Umfeld und dem menschlichen Erleben festgestellt wurden. Zahlreiche Studien belegen, dass Natur erholsam und regenerativ wirkt. Die entscheidende Frage ist nun, wie wir diese Wirkungen in der gebauten Umwelt erzielen.

Zentrum: Welche Grundsätze sollten Planer bei der Gestaltung von Wohnungen, Häusern oder auch dem urbanen Raum beachten?

Reichl: Es gibt 8 Kategorien der Wirkung von Räumen und Gebäuden auf den Menschen. Diese Kategorien haben wir in der E-Mail Serie „Wie Architektur wirkt“ zusammen gefasst. Hier können sich die interessierten Lesen weiter informieren. Zwei wesentliche Grundsätze möchte ich hier heraus strichen.

  • Man sollte so planen, dass soziale Einbindung, Kontakt und Nachbarschaft entsteht. Die meisten Wohnsiedlungen und Wohngebäude fördern die Anonymität. Diese Anonymität ist ein sehr stark krankmachender Faktor, der unbedingt vermieden werden soll
  • Man sollte so viel Natur in unsere Gebäude und öffentliche Räume bringen wie irgendwie möglich. Damit entsteht Stressregulation und Regeneration.

Allen Planerinnen und Planern aber auch Personen in beratenden Berufen bieten wir entsprechende Ausbildungen an. Info unter: https://www.iwap.eu/lehrgaenge/

Zentrum: Wie können Psychologen und Psychotherapeuten von den Erkenntnissen der Wohn- und Architekturpsychologie profitieren?

Reichl: Indem sie die Wohnsituation und das Wohnumfeld in die Gespräche mit den Klienten einbinden. Dazu sind einige Grundregeln der Wohnpsychologie notwendig, wie etwa, dass unveränderbare Dinge nicht zu stark betont werden sollten, weil man sonst die Hilflosigkeit verstärken würde. IWAP bietet zu diesem Thema einen Mitgliederbereich an.

Zentrum: Sehen Sie auch konkrete Anwendungen in der Psychiatrie?

Reichl: Gerade im Bereich der Psychiatrie wird sehr deutlich, dass den Räumen eine entscheidende Rolle beikommt. Psychisch kranke Menschen sind sehr stark von den Umweltfaktoren abhängig. Gerade hier sollten die Empfehlungen zur Gestaltung von „Erholsamen Umwelten“ berücksichtigt werden. Roger Ulrich, der diese Forschungstradition begründet hat, verweist in seinem Artikel „Psychiatric ward design can reduce aggressive behavior“ auf 10 Merkmale der Stationsgestaltung, die aggressives Verhalten reduzieren. Dies passiert indem wesentliche Stressfaktoren beseitigt werden. Die Hauptstressfaktoren für Patienten in psychiatrischen Stationen sind Beengungsstress und Wahrnehmungsstress (vor allem Lärm und schlechte Akustik). Durch die richtige Raumanordnung und die richtige Gestaltung werden diese Stressfaktoren so weit reduziert, dass sie nicht mehr relevant sind, bzw. nicht Stress sondern Wohlbefinden und Erholung entstehen.

Zentrum: In der Freimaurerei sowie im japanischen Feng Shui gibt es Grundsätze zur Harmonisierung des Menschen mit seiner Umgebung. Provokant gefragt: Ist die Wohn- und Architekturpsychologie insofern nicht Neues mehr?

Reichl: Das Bedürfnis nach menschengerechten Lebensräumen ist so alt wie der Mensch selbst. So sind natürlich viele Lösungswege entstanden. Die Wohn- und Architekturpsychologie ist der zeitgemäße Weg und stützt sich auf wissenschaftliche Forschung. Wir haben also erstmals in der Geschichte die Gelegenheit den Einfluss von gebauter Umwelt in konkrete Themen zu kleiden und die Einflussfaktoren differenziert zu betrachten. Dafür steht die Wohn- und Architekturpsychologie. IWAP hat es sich zum Ziel gesetzt, dieses Wissen und Methoden in verschiedenen Berufszweigen zur praktischen Anwendung zu bringen.

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

 

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