Erste verhaltenstherapeutische App für Tinnituspatienten bessert Belastung der Betroffenen
Mit der Kalmeda-App wurde erstmals eine verhaltenstherapeutische App für Patienten mit Tinnitus auf den Markt gebracht, die den wissenschaftlichen Leitlinien entspricht. Der HNO-Arzt und Tinnitusexperte Dr. Uso Walter hat die App mit entwickelt und erläutert im Gespräch, wie die App funktioniert, welcher Aufbau ihr zugrunde liegt und welche Ergebnisse er bei Tinnituspatienten mit der App erzielt. Erste Kassen erstatten bereits die Kosten, eine Zulassung im Rahmen des DVG ist für 2020 geplant.
Zentrum: Sehr geehrter Herr Dr. Walter, mit der Kalmeda-App haben Sie eine leitlinienbasierte Tinnitus-App auf den Markt gebracht. Welchen Nutzen haben Patienten von der App, und worin unterscheidet sie sich von anderen App-basierten Lösungen auf dem Markt?
Walter: Mit der Kalmeda Tinnitus-App haben wir erstmals eine verhaltenstherapeutische App für Tinnituspatientenentwickelt. Das unterscheidet uns deutlich von den bisherigen, rein akustischen oder allenfalls beratenden Apps. Das verhaltenstherapeutische Übungsprogramm ermöglicht es Betroffenen, jederzeit die von den wissenschaftlichen Leitlinien empfohlene Tinnitusbehandlung zu beginnen und so einer Verschlimmerung oder Chronifizierung ihrer Ohrgeräusche vorzubeugen und den Leidensdruck zu reduzieren.
Zentrum: Kern der App ist u.a. eine kognitive Verhaltenstherapie zur Bewältigung des Tinnitus. Warum gehen Sie davon aus, dass eine Therapie ohne Therapeuten funktionieren kann? Wie ist diese aufgebaut, und wodurch kann die Therapie den Tinnitus lindern?
Walter: Die App ist der Therapeut, aber es besteht jederzeit auch die Möglichkeit, einen der Ärzte oder Psychologen, die die App entwickelt haben, direkt zu kontaktieren. In dem verhaltenstherapeutischen Übungsprogramm lernen Betroffene schrittweise, mehr Entspannung in den Alltag zu integrieren, achtsamer mit sich und ihren Bedürfnissen umzugehen und für sie schädliche Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und durch hilfreichere zu ersetzen. Dazu bekommen sie nach und nach die notwendigen Werkzeuge an die Hand. Insgesamt durchlaufen sie 5 Level mit je 9 Etappen, wobei regelmäßige Hausaufgaben und eine Mindestbearbeitungszeit für jede Etappe dafür sorgen, dass das Erlernte auch in den Alltag integriert wird. Es wird also nicht so sehr „Kopf“-Wissen vermittelt, sondern Selbstwirksamkeit, also die Fähigkeit, mit negativen Dingen im Leben gut zurechtzukommen und sich selbst zu helfen.
Zentrum: Wird die Therapie individuell eingerichtet, abhängig vom Leidensdruck des Patienten, oder ist das Therapieschema für alle Nutzer gleich?
Walter: Der grundsätzliche Ablauf ist für alle gleich. Je nach Schweregrad variieren aber die Aufgaben und Hinweise. Trotzdem wird jeder Tinnitusbetroffene da abgeholt, wo er gerade steht.
Zentrum: Wie ist das Feedback der Nutzer, haben Sie erste Daten erheben können?
Walter: Wir haben jetzt die Auswertung von 68 Patienten, die die ersten beiden Level durchlaufen haben. Das Durchschnittsalter betrug 50,2 Jahre und Frauen und Männer waren etwa gleich stark vertreten. Die Tinnitusbelastungwurde jeweils vor der Therapie und nach Level 2 abgefragt. Dazu benutzen wir eine visuelle Analogskala von 0 bis 10, wobei 0 gar keine Belastung und 10 eine maximale Belastung bedeutet. Vor der Behandlung lag die durchschnittliche Belastung bei 7,2, nach Level 2 bei 4,6. Das ist eine sehr deutliche Besserung, da man sagen kann, dass eine Belastung unter 5 schon einem kompensierten Tinnitus entspricht, der einen im Alltag wenig belastet. Bemerkenswert ist auch, dass dieses Ergebnis bereits nach Level 2 von 5 Leveln zu beobachten war. Eine weitere Besserung ist also zu erwarten.
Zentrum: Arbeitet der Patient bei Kalmeda rein mit der App, oder erhält er bei Bedarf auch Unterstützung durch einen Arzt?
Walter: Ein direkter Arztkontakt ist jederzeit möglich. Diese Funktion wird allerdings nur selten genutzt, da die Therapie schon in der Entwicklung immer wieder an Patienten getestet wurde und im Grunde selbsterklärend ist.
Zentrum: Welche Kosten muss der Patient aufbringen, und wie steht es aktuell um die Übernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen?
Walter: Die Behandlung kostet im ersten Jahr 38,99 monatlich, wobei jederzeit eine Kündigung möglich ist. Mehrere gesetzliche und private Krankenkassen erstatten bereits die Kosten. Diese sind auf der Webseite www.kalmeda.de aufgelistet. Wir streben für 2020 aber auch die Zulassung zur Regelversorgung im Rahmen des neuen Digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) an.
Zentrum: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.