Teresa Enke und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei der Eröffnung der VR-Ausstellung IMPRESSION-DEPRESSION am 21. Oktober in Berlin © Robert-Enke-Stiftung

Interview mit der Robert-Enke-Stiftung

Eine Depression ist der Kreuzbandriss der Seele

Seit Gründung der Robert-Enke-Stiftung hat sich der Umgang mit Depression gerade im Leistungssport deutlich verändert. Mit welchen Mitteln die Stiftung den Betroffenen helfen kann, wie die Resonanz auf die aktuelle Ausstellung IMPRESSION DEPRESSION der Stiftung ist und welchen Beitrag depressive Blogger leisten, erklärt Tilman Zychlinski, hauptamtlicher Stiftungsmitarbeiter der Robert-Enke-Stiftung im Interview mit uns (zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden).

Im Interview: Tilman Zychlinski, hauptamtlicher Stiftungsmitarbeiter der Robert-Enke-Stiftung © Robert-Enke-Stiftung

Im Interview: Tilman Zychlinski, hauptamtlicher Stiftungsmitarbeiter der Robert-Enke-Stiftung © Robert-Enke-Stiftung

Zentrum: Welche Erfahrungen machen Sie bei der Aufklärungsarbeit über Depression? Hat sich im Umgang mit der Krankheit etwas in der Gesellschaft getan?

Zychlinski: Einer der Schwerpunkte bei der Robert-Enke-Stiftung liegt im Bereich Leistungssport. In diesem Bereich tut sich effektiv etwas. Sicher erinnern Sie sich an den Fall von Sebastian Deisler. Er ging als Profifußballer sehr offen mit seiner Depression um, die Reaktion und Unterstützung seines Vereins war durchweg positiv, Sebastian erhielt schnelle Hilfe. Ganz anders jedoch die öffentliche Meinung: Hier galt er als Psycho, es gab kein Verständnis für Depression als Krankheit.

Dies war maßgebend dafür, dass Robert Enke sich mit seiner Depression nicht an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Die gängige Meinung war: Man darf nicht schwach sein. „Schwäche zu zeigen ist auch eine Stärke“ – so das geflügelte Wort. Dabei ist Depression keine Schwäche, es ist eine Krankheit.

Robert Enke litt nicht unter dem Leistungsdruck des Profisports. Robert litt an einer Depression, seine Krankheit hatte nichts mit Druck zu tun. Profis wie Markus Miller, Martin Amedick oder Gianluigi Buffon sprechen heute offen über ihre Krankheit, wissen dass sie eine Behandlung brauchen, und sie kommen danach wieder. Die Arbeit unserer Stiftung zeigt ganz deutlich Wirkung.

Zentrum: Laut jüngsten Meldungen haben nur vier Bundesligavereine überhaupt einen Psychologen beschäftigt. Reicht das?

Zychlinski: Ob es wirklich nur vier sind mag dahingestellt sein. Viele Sportler können dennoch im Umfeld ihres Vereins im Bedarfsfall externe psychologische Hilfe zu Rate ziehen. Vielleicht ist dies im Profisport der bessere Weg, um Distanz zum Verein zu schaffen. Gleichwohl legen interne Psychologen natürlich die Hürde niedriger, bei Problemen nach Hilfsangeboten zu suchen. Daher begrüßen wir festangestellte Psychologen ausdrücklich.

In Nachwuchsleistungszentren sind diese sogar Pflicht. Hier gilt es, einen Großteil der Talente nicht zuletzt darauf vorzubereiten, dass eine Karriere in der Bundesliga vielleicht doch nicht machbar ist. Wie auch immer: Hier wachsen Sportler mit einem Selbstverständnis heran, das ihnen sagt – ein Psychologe im Sport ist OK, völlig normal, gehört dazu.Und in fünf bis zehn Jahren kommt daran kein Verein mehr vorbei.

Zentrum: Sie haben eine Beratungshotline für Leistungssportler eingerichtet. Wie ist die Resonanz?

Zychlinski: Zahlen geben wir dazu grundsätzlich nicht heraus, hier bitte ich um Verständnis. Der Wert der Hotline ist indes immens: Sie rettet im Notfall Menschenleben, man sieht dies jedoch nur dann, wenn ein Leben nicht gerettet worden ist.

Anders formuliert: Die Hotline besitzt für die Robert-Enke-Stiftung solch einen hohen Stellenwert, dass wir jährlich sechzigtausend Euro investieren. Für einen Service, den es so exklusiv nur in Deutschland und wahrscheinlich auch nur in Europa gibt. Uns ist wichtig, dass die Hotline mit Fachärzten besetzt ist. Diese können schnell einschätzen, in welcher Situation sich der Anrufer befindet, klären das weitere Vorgehen ab und können innerhalb von 10 Tagen einen Therapieplatz organisieren.

Unser Fokus auf im Leistungssport hat zu einer Metapher geführt: Eine Depression ist der Kreuzbandriss der Seele. Der Rehabilitant muss begleitet werden, und wie im Falle einer Verletzung die ernsthafte Chance erhalten, in seinen Sport zurückkehren zu können. Andrés Iniesta zeigte uns das bereits, als er nach einer depressiven Episode im Jahr 2009 nicht einmal ein Jahr später das „goldene“ Tor im Finale der Fußballweltmeisterschaft geschossen hat.

Zentrum: Welches Feedback bekommen Sie von Besuchern der VR-Ausstellung IMPRESSION DEPRESSION? Wie nachhaltig ist der Besuch solch einer Ausstellung für Nichtbetroffene?

Zychlinski: Der Startschuss für diese außergewöhnliche Ausstellung fiel am 21. Oktober 2019 gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Berlin. Die Resonanz ist enorm: Seither haben wir über 200 Anfragen von Universitäten oder Unternehmen erhalten, welche die Ausstellung zeigen wollen. Der Auftakt vergangenen Donnerstag auf dem Conti Campus der Leibniz-Universität in Hannover war innerhalb von 13 Stunden ausgebucht.

 

IMPRESSION-DEPRESSION: „Die Resonanz ist enorm: Seither haben wir über 200 Anfragen von Universitäten oder Unternehmen erhalten, welche die Ausstellung zeigen wollen“ © Oliver Vosshage

IMPRESSION-DEPRESSION: „Die Resonanz ist enorm: Seither haben wir über 200 Anfragen von Universitäten oder Unternehmen erhalten, welche die Ausstellung zeigen wollen“ © Oliver Vosshage

 

Das Thema Depression scheint also Nichtbetroffenen unter den Nägeln zu brennen – einfach weil diese sich nicht vorstellen können, in welch düsterer Gedankenwelt Depressive leben, welche Einschränkungen dies mit sich bringt. Unsere Ausstellung IMPRESSION DEPRESSION kann zumindest einen ersten Eindruck vermitteln, wie die Welt eines psychisch Erkrankten aussieht.

 

So erleben die Besucher die VR-Ausstellung IMPRESSION-DEPRESSION © Robert-Enke-Stiftung

So erleben die Besucher die VR-Ausstellung IMPRESSION-DEPRESSION © Robert-Enke-Stiftung

 

IMPRESSION-DEPRESSION: „Die Resonanz ist enorm: Seither haben wir über 200 Anfragen von Universitäten oder Unternehmen erhalten, welche die Ausstellung zeigen wollen“ © Oliver Vosshage

IMPRESSION-DEPRESSION: „Die Resonanz ist enorm: Seither haben wir über 200 Anfragen von Universitäten oder Unternehmen erhalten, welche die Ausstellung zeigen wollen“ © Oliver Vosshage

 

Zentrum: Zunehmend treten Betroffene mit Blogs oder Social Media-Kanälen an die Öffentlichkeit. Wie schätzen Sie diese Aktivitäten ein? Ist dies ein Effekt der „Normalisierung“, oder flirtet man hier mitunter mit dem Chic einer Krankheit?

Zychlinski: PR in eigener Sache sehen wir dabei nicht. Die Krankheit ist nach wie vor stigmatisiert, Betroffene hegen in der Regel den guten Willen, wieder ein normales Leben führen zu können. Es wird schnell ersichtlich, wer ernsthaft bloggt.

Und wenn die zunehmenden Social Media-Aktivitäten der Betroffenen zu einem natürlichen Umgang mit den Betroffenen beitragen können, dann wird auch auf diesem Wege viel erreicht.

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

 

Ein Kommentar
  1. Pingback: Podiumsdiskussion klärt über die Krankheit auf – psy-news

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