Interview mit der Psychologien Laura Trimpop zum online-Programm Speech der Privatuniversität Witten/Herdecke zur Behandlung der sozialen Phobie.

Interview zum Online-Interventionsprogramm Speech

Speech richtet sich als Online-Interventionsprogramm an Menschen mit sozialer Phobie

zentrum: Sehr geehrte Frau Trimpop, was steckt hinter dem Online-Interventionsprogramm SPEECH?

Leonie Trimpop studierte Psychologie an den Universitäten Bielefeld (B.Sc.) und Witten/Herdecke (M.Sc.).

Leonie Trimpop studierte Psychologie an den Universitäten Bielefeld (B.Sc.) und Witten/Herdecke (M.Sc.).

Trimpop: Mit dem Online-Interventionsprogramm SPEECH möchten wir Menschen mit Ängsten in sozialen Situationen helfen, wieder mehr und mit weniger Angst am sozialen Alltag teilnehmen zu können. SPEECH ist ein eigenständiges Online-Programm in acht Etappen, das bequem vom PC, Tablet oder Handy aus, genutzt werden kann. Wir bieten Informationstexte, aber auch Videos und Übungen, Wissenund Hilfestellungen an, um soziale Ängste zu verringern. Es basiert auf einem bewährten Therapiemodell von Clark & Wells (1995), angepasst durch Willutzki et al. (2012), welches wir jetzt im Online-Kontext aufgebaut haben. Wir sind ein kleines Team an der Universität Witten/Herdecke und habenSPEECH im Rahmen eines Forschungsprojekts mit viel Schaffensfreude und Einsatz entwickelt.

Beim Durchlaufen von SPEECH begleiten wir alle Teilnehmenden online während der gesamten Laufzeit und stehen ihnen zur Seite. Die Kontaktaufnahme zur individuellen Berater*in von uns ist dabei keine Verpflichtung, sondern optional. Damit geben wir unseren Teilnehmenden die Möglichkeit ganz für sich selbst zu schauen, aber auch jederzeit jemanden im Hintergrund zu haben, falls Probleme oder Fragen auftreten.

Einer der großen Vorteile von SPEECH ist, dass es zu jedem beliebigen Zeitpunkt eines Therapieprozesses eingesetzt werden kann. Teilnehmende können sowohl vor, parallel als auch nach einer Therapie vom Programm profitieren. SPEECH kann somit präventiv, vorbereitend, unterstützend oder aufbereitend genutzt werden.

zentrum: An wen richtet sich SPEECH? Wie kann man dies nutzen?Ist die Nutzung ohne z.B. Überweisung machbar?

Trimpop: SPEECH richtet sich an Menschen mit sozialer Phobie. Das ist eine psychische Beeinträchtigung, die bei Menschen dann Angst auslöst, wenn sie sich in soziale Situationen begeben. Zum Beispiel reagiert man dann ängstlich, oder sogar panisch, wenn man vor anderen sprechen oder einen Anruf machen soll. Wir alle haben soziale Situationen mit anderen Menschen, in denen wir nervös sind, wie zum Beispiel bei oder vor einem Vortrag oder einer Ansprache. Bei Menschen mit sozialer Phobie ist es aber so, dass diese Ängste sehr stark ausgeprägt sind und sie daran hindern, ihren Alltag normal zu bestreiten, in dem sie z.B. viele Kontakte oder solche Situationen vermeiden.

Dabei kann SPEECH helfen, indem wir erklären, wie soziale Phobie entsteht, wodurch sie verstärkt wird und Wege aufzeigen, wie man besser mit seinen Ängsten umgehen kann. Die Nutzung ist völlig kostenfrei und es ist keine Überweisung oder Ähnliches notwendig. Alle, die sich dafür interessieren und sich in der Beschreibung von sozialer Phobie wiederfinden und unter diesen Problemen leiden, können teilnehmen.

zentrum: SPEECH soll auch parallel zu Therapien genutzt werden können. Erfolgen Abstimmungen mit behandelnden Therapeuten vor Ort?

Trimpop: Richtig, SPEECH kann man parallel zu einer Psychotherapie aber auch vorab oder als Auffrischung nach einer Therapie nutzen. Wir haben das Programm so konzipiert, dass es als alleinstehende Version zu jeder Zeit genutzt werden kann. Eine persönliche Psychotherapie vollständig ersetzen, kann und soll es dabei natürlich nicht. In SPEECH wird allen Teilnehmenden je eine psychologisch geschulte Beratung zur Seite gestellt, die bei der Nutzung des Programms unterstützt und Fragen beantwortet. Die Beratenden erhalten Supervision durch Prof. Dr. Ulrike Willutzki und unterliegen selbstverständlich der Schweigepflicht.

Abstimmungen mit behandelnden Therapeut*innen vor Ort erfolgen daher nicht per se, sind aber mit entsprechender Absprache möglich. Wir legen sehr viel Wert auf den Datenschutz unserer Teilnehmenden und geben deswegen keine Auskünfte an Dritte. Es ist aber durchaus auch als Therapeut*in möglich, sich von uns Informationen zum Programm einzuholen und Einblicke in die Inhalte von SPEECH zu bekommen.

zentrum: Handelt es sich dabei um ein Forschungsprojekt oder ein dauerhaft verfügbares Angebot für Patienten? Da das Angebot kostenfrei ist – wie wird es finanziert?

Trimpop: Bei SPEECH handelt es sich um ein Forschungsprojekt der Universität Witten/Herdecke am Lehrstuhl für klinische Psychologie und Psychotherapie von Prof. Dr. Ulrike Willutzki. Durch die Auswertung der anonymisierten Daten unserer Teilnehmenden können wir mehr Erkenntnisse über Online-Therapie bei sozialer Phobie gewinnen und so unser Programm weiterentwickeln. SPEECH finanziert sich also einfach erklärt über die neuen Erkenntnisse, die wir aus den Forschungsdaten gewinnen können, ohne dabei persönliche Daten weiterzugeben. Damit wir das Programm anbieten können, ist es für uns sehr wichtig, von unseren Teilnehmenden eine Rückmeldung dazu zu bekommen, wie sie das Programm erlebt haben, und wie es sich für sie auf die Ängste ausgewirkt hat. Diese Rückmeldung läuft bei uns über Fragebögen, die wir unseren Teilnehmenden zwischendurch zukommen lassen. Wie es nach der Forschung dauerhaft weitergeht, hängt auch vom Erfolg ab. Aber jede Person, die damit begonnen hat, erhält auch die Chance das Programm zu beenden.

SPEECH wurde auf Basis des Modells von Clark & Wells (1995) zur sozialen Phobie entwickelt, das von Willutzki et al. (2012) angepasst wurde. Können Sie die Eckpunkte des Modells kurz skizzieren?

Das Modell von Clark & Wells (1995) basiert auf der Annahme, dass Menschen mit sozialer Phobie in ihrem eigenen Schema der sozialen Umwelt gefangen sind. Sie können nicht mehr aus ihrem Schneckenhaus heraus und auf die echte soziale Umwelt schauen. Das Schneckenhaus besteht dabei aus drei Teilen, nämlich der Selbstaufmerksamkeit, dem Sicherheitsverhalten und der Orientierung am eigenen negativen Gefühl. Selbstaufmerksamkeit bedeutet, dass man so sehr auf die eigenen Handlungen, Gedanken und Gefühleachtet, dass man nicht mehr mitbekommt, was die Menschen um einen herum tun. Sicherheitsverhalten bedeutet wiederum, dass man das eigene Verhalten so stark kontrolliert und einschränkt, dass man womöglich damit genau das Gegenteil bewirkt. Zum Beispiel ein Glas mit Wasser so sehr festzuhalten, damit man es nicht fallen lässt, dass man beginnt zu zittern und dadurch das Wasser überschwappt, oder das Glas sogar zerspringt. Die Orientierung am eigenen negativen Gefühl ist dann die Vollendung des Teufelskreises. Hierbei geht es darum, dass Situationen nur daran bewertet werden, wie man sie selbst wahrgenommen hat und natürlich bewertet man Situationen, in denen man sehr aufgeregt ist und sich nur darauf konzentriert, was man alles vielleicht seltsam oder peinlich macht, eher als negativ. Damit versperrt man sich selbst die Möglichkeit, positive Erfahrungen oder Beobachtungen mit der echten sozialen Umwelt zu machen und die Angst vor solchen Situationen wird immer größer.

Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, wir wären bei einem Abendessen in einem Restaurant und würden uns darum sehr darauf konzentrieren, wie wir uns verhalten und gar nicht mehr auf die anderen achten. Vielleicht würden wir das Glas sehr festhalten, damit wir es nicht fallen lassen oder aber etwas ganz Simples zu Essen bestellen, damit wir uns nicht beim Essen bekleckern. Auf jeden Fall wären das sicherlich keine Spaghetti! Wir würden dann so sehr darauf achten, ja nichts falsch zu machen und uns nicht peinlich zu benehmen, dass wir gar nicht mehr mitbekommen könnten, wie die anderen eigentlich reagieren, oder was sie von uns und der Situation halten. Zum Beispiel, ob unser Gegenüber vielleicht lächelt oder wie er oder sie die Situation wirklich wahrnimmt. Damit bleibt uns nur noch die Möglichkeit, dass wir uns daran orientieren, wie wir glauben, dass es gelaufen ist und weil wir uns ja die ganze Zeit schlecht gefühlt haben, muss die Situation auch furchtbar gewesen sein. Wir übertragen also unser Unwohlsein auf Situationen, die vielleicht völlig in Ordnung waren und können nicht erleben, dass die Ängste nicht Recht haben, wir vielleicht ganz ok sind, so wie wir sind.

zentrum: Im SPEECH-Flyer ist von Etappen die Rede, die der Nutzer bearbeiten muss. Wie muss man sich dies vorstellen, wie werden diese Ergebnisse überprüft?

Trimpop: SPEECH besteht aus acht Teilen, die jeweils unterschiedliche Hauptthemen haben. Die Bearbeitung der Teile soll jeweils innerhalb von einer Woche stattfinden und nimmt etwa 1-2 Stunden in Anspruch. Damit dauert das Programm inhaltlich etwa acht bis neun Wochen, bis alle Teile fertig bearbeitet sind. Die ersten fünf Teile geben eine Einführung underklären, was soziale Phobie überhaupt ist. Sie helfen dabei,herauszufinden, welche persönlichen Probleme die Teilnehmenden mit ihren sozialen Ängsten mitbringen. Zudem geht es dabei darum, ungünstige Schutzmechanismen vorsichtig abzubauen, wie z.B. Sicherheitsverhaltensweisen. Die darauffolgenden drei Teile fokussieren sich auf das Entwickeln neuer Herangehensweisen und die Übersetzung in die Realität. Wir beginnen in kleinen Schritten mit dem Ausprobieren von neuen Strategien in der echten Welt und begleiten unsere Teilnehmenden dabei, sich an neue Herausforderungen des Alltags zu wagen. Die persönlichen Berater*innen sind dabei immer für Fragen zur Stelle und helfen, wo Hilfe benötigt wird. Auch bei der Auswertung der Ergebnisse dieser kleinen Experimente stehen wir unseren Teilnehmenden zur Seite.

zentrum: Wovon profitiert der Nutzer konkret bei SPEECH nach einem Durchlauf des Programms?

Trimpop: Das kommt ganz individuell auf die Person an, die SPEECH für sich nutzt. Grundsätzlich gilt hierbei: SPEECH hilft durch Informationen über die soziale Phobie, das Erfragen von individuellen Ängsten und das Entwickeln und Ausprobieren von darauf aufbauenden alternativen Strategien zur Reduktion von sozialen Ängsten im realen Alltag.

Gleichzeitig kommt es aber auch darauf an, wie viel Vorwissen schon vorhanden ist. Wer an SPEECH vor einer persönlichen Psychotherapie teilnimmt, wird sicherlich am meisten von den Informationen zur Entstehung und Aufrechterhaltung sozialer Phobie profitieren. Wird es parallel zur Therapie genutzt, kann es dann eher die Überbrückung zur nächsten Therapiesitzung in ein oder zwei Wochen sein und so den Therapiefortschritt fördern. Es bietet die Möglichkeit, sich auch zwischen den Sitzungen noch weiter mit der Reduktion der Ängste zu beschäftigen. Schlussendlich lässt sich SPEECH natürlich auch nach einer Therapie anwenden und bietet so eine Erweiterung, Auffrischung oder Wiederholung der Inhalte einer Therapie.

zentrum: Wie messen Sie die eintretenden Veränderungen?

Trimpop: Wir messen mithilfe von digitalen Fragebögen zu Beginn, nach fünf, zehn und fünfzehn Wochen die auftretenden Veränderungen der sozialphobischen Symptomatik unserer Teilnehmenden. Die Fragebögen sind nicht Bestandteil des eigentlichen Programms, sondern laufen parallel dazu ab. Darin erfragen wir Informationen zum aktuellen Ausmaß der Belastung und Symptomschwere, sowie Lebenszufriedenheit oder der Einstellung zu allen möglichen verschiedenen sozialen Situationen. Wir vergleichen dann die Ergebnisse der verschiedenen Zeitpunkte miteinander und schauen, ob sich mit Durchlaufen von SPEECH eine Reduktion der belastenden Faktoren und der sozialen Ängstlichkeit ergibt. Bisher konnten unsere Teilnehmenden von SPEECH gut profitieren!

 

Zu Leonie Trimpop:

Psychologin, M. Sc.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie I
Private Universität Witten/Herdecke gGmbH

 Leonie Trimpop studierte Psychologie an den Universitäten Bielefeld (B.Sc.) und Witten/Herdecke (M.Sc.). Nun untersucht sie im Rahmen ihrer Dissertation an der Universität Witten/Herdecke die hilfreiche Wirkung von psychologischen Online-Therapieprogrammen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrike Willutzki entwickelte sie dazu das Therapieprogramm SPEECH, zur Reduktion sozialer Ängste. Aktuell forscht sie an der Weiterentwicklung von SPEECH sowie der Förderung von psychischer Widerstandskraft im Online-Kontext.

 

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

Zentrum für psychische Gesundheit und Wohlbefinden
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Holger Crump
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