Interview: Kirche und Corona

Kirche und Corona – Interview mit einem katholischen Pfarrer

Kirche und Corona: Gemeindeleben in der Warteschleife

Wie erlebt ein Pfarrer die Corona-Krise, alleine, in der Gemeinde, in der Seelsorge? Spirituelle Aspekte können, so wie hygienische Maßnahmen, auch einen besonderen Schutzschirm entfalten. Wir sprachen mit Christoph Bernards, Leitender Pfarrer der Kirchengemeinde St. Joseph und St. Antonius in Bergisch Gladbach, ob Krise auch Konjunktur für die Kirche bedeutet. 

Zentrum: Pfarrer Bernards, wie gehen Sie ganz persönlich als Pfarrer mit der Situation um?

Christoph Bernards ist leitender Pfarrer der Kirchengemeinde St. Joseph und St. Antonius in Bergisch Gladbach

Christoph Bernards ist leitender Pfarrer der Kirchengemeinde St. Joseph und St. Antonius in Bergisch Gladbach

Christoph Bernards: Zunächst einmal für alle, die es nicht wissen, der grundsätzliche Hinweis zu meiner Lebenssituation: Als katholischer Priester lebe ich alleine. Damit stehe ich wie viele Menschen, die keine Partnerin / keinen Partner haben in der Situation, dass ich zunächst einmal mit allem, was mir widerfährt, alleine klar kommen muss. Das ist auch jetzt in der Krise so und es gibt Augenblicke, in denen mich das belastet und mir auf die Stimmung drückt, und es gibt Augenblicke, in denen ich ganz gut damit klar komme. Letztere überwiegen Gott sei Dank, so dass ich sagen kann, dass es mir im Großen und Ganzen trotz alledem gut geht. 

Ein wesentlicher Teil meines Lebens und Alltags ist bisher die Arbeit mit und bei den Menschen gewesen. Angefangen von der klassischen Seelsorge bei Hausbesuchen der Alten oder Kranken Menschen, bei Begegnungen mit Angehörigen im Rahmen der Trauerbegleitung, Begleitung von Menschen, die heiraten oder ihr Kind taufen lassen möchten bis hin zu Treffen und Begegnungen mit Gruppen und Gruppierungen, die das Leben in der Pfarrgemeinde gestalten: Pfarrgemeinderat, Kirchenvorstand und viele mehr. 

Diese Treffen können jetzt nicht oder nur unter sehr schwierigen Umständen stattfinden, so dass ich vieles nun per Telefon oder Mail erledigen muss. Damit ist aber auch ein großer Teil meines Alltags umgekrempelt worden und sich da rein zu finden, neue Struktur im Alltag zu finden, ist auch für mich persönlich nicht leicht. Hilfreich in alle dem ist ein guter Kontakt zu meiner Familie (Geschwister und Eltern) und zu Freunden, mit denen ich im Austausch bin und zum Glück auch über andere Dinge sprechen kann als „Corona“. Denn das prägt mein Arbeiten und meinen Alltag im Augenblick sehr.

Zentrum: Wie gehen Sie mit der Angst um, sich selber infizieren zu können – schließlich basiert Ihre Tätigkeit ja auf dem Kontakt mit Menschen?

Christoph Bernards: Hier habe ich das große Glück, dass ich diese Angst nicht habe. Das hat viele Gründe, der wichtigste Grund liegt aber wirklich in einem tiefen Vertrauen, dass Gott mich schützt. Das ist eine Grunderfahrung, die ich in meinem Leben schon als Kind machen durfte, bei Gott geborgen zu sein und bei Ihm Halt zu finden. 

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich meine nicht, dass er mich schützt vor Leid und Gefahr oder gar einer Ansteckung. Da kann und muss ich selber auch drauf achten und tue das auch. Es ist vielmehr das Vertrauen, dass mir selbst in der größten Not, Angst und auch in der größten Krise Gott nicht von der Seite weicht. Ich spüre das auch in diesen Tagen ganz deutlich, dass er da ist. Gerade auch in den Augenblicken, wo es mir nicht gut geht, entdecke ich auf einmal, wie Gott mir dann Trost und Halt schenkt. 

Margot Käsmann hat bei ihrem Amtsrücktritt in Rückgriff auf den Pfarrer Arno Pötzsch gesagt: „Wir können nicht tiefer fallen als in Gottes Hände!“ Mein Weihespruch lautet: „In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist.“ Das trägt mich und hilft mir mit der Situation um zu gehen.

Zentrum: Die Corona-Krise stellt nicht nur in gesundheitlicher, sondern auch in psychischer Hinsicht eine besondere Herausforderung an die Menschen: Drohende Arbeitslosigkeit, Isolation, Lagerkoller bis hin zu Depression, aber auch Angst um die Gesundheit und die Zukunft, Trauer. Äußert sich dies auch darin, dass die Menschen Zuwendung in Ihrer Kirche suchen?

Christoph Bernards: Das ist im Augenblick eine interessante Beobachtung. Immer wieder passiert es mir ja, dass ich Menschen auch beim Einkaufen oder ähnlichem treffe. Vor dem Beginn der Krise waren das dann meist kurze Gespräche, „Smalltalk“ also. Wenn ich jetzt mit Menschen ins Gespräch komme, dann hat das in der Regel einen Anlass, der relativ kurz zu klären wäre. Die Gespräche dauern aber dann länger, weil ich spüre, dass meine Gesprächspartner Redebedarf haben. 

So zum Beispiel eine Frau, die sich bei mir meldete, weil sie im Augenblick nicht einkaufen gehen kann, mit der ich dann lange telefoniert habe und ich ein wenig von ihrer Lebensgeschichte erfuhr. Solche Momente kommen häufig vor und oft genug ist es dann auch so, dass ich mich noch mal später bei den Menschen melde oder Kollegen bitte, sich mal um die Person zu kümmern. 

Von daher glaube ich schon, dass die Menschen im Augenblick die Zuwendung von „Kirche“ oder durch Vertreter der Kirche suchen. Wir bekommen auch sehr viele positive Rückmeldungen darauf, dass unsere Kirchengebäude tagsüber geöffnet sind und so die Menschen die Kirche auch aufsuchen können. Wir können ja zurzeit keine öffentlichen Gottesdienste feiern – geschlossen sind unsere Kirchen aber nicht, wie es oft heißt.

Zentrum: Durch die Kontaktsperren sind/waren direkte Kontakte auf ein Mindestmaß reduziert. Wie ist/war angesichts dieser Regulierung die Seelsorge für den Einzelnen in Krisensituationen überhaupt möglich? Wie organisieren Sie das Gemeindeleben insgesamt in diesen Zeiten? Gibt es digitale Angebote? Und wie erreichen Sie Menschen, die nicht unbedingt eine Affinität zu WhatsApp, Youtube oder Facebook haben?

Christoph Bernards: Soweit es nicht irgendwie nötig ist, versuchen meine Mitarbeiter und ich den persönlichen und direkten Kontakt zu meiden. Das hat nicht nur mit dem eigenen Schutz zu tun, sondern auch mit dem Schutz der anderen Menschen. Ich werde ja auch weiterhin zu Menschen gerufen, die krank sind oder im Sterben liegen, so dass sich meine persönlichen Kontakte eben nicht ganz vermeiden lassen. Damit bin ich aber auch tendenziell Infektionsüberträger und schon alleine, um andere zu schützen, vermeide ich demzufolge die Kontakte. 

Seelsorge ist dadurch sehr schwer geworden. Gerade da, wie Krisensituationen bei Menschen anstehen, wie zum Beispiel in einem Trauerfall. Hier versuche ich dann den telefonischen Kontakt, der vielleicht ein bisschen auffangen kann. Ich merke aber selber, wie bruchstückhaft das ist und das die Nähe, die sonst bei einem Kondolenzgespräch möglich ist, so nicht aufkommen kann. Das ist auch für mich sehr schmerzhaft und belastend, gerade da, wo Menschen den Zuspruch brauchen, ihn nicht geben zu können. 

Darüber hinaus ist unser Gemeindeleben zurzeit in der Warteschleife: unsere Büchereien, Jugend- und Pfarrheime sind geschlossen, die Treffen der Gruppierungen und Vereine erst mal ausgesetzt. Bis auf die Treffen, die zur Aufrechterhaltung des „Betriebes“ notwendig sind, findet nichts statt. Wir haben versucht und versuchen es weiterhin, die Menschen über unsere Internetseite (www.joseph-und-antonius.de) auch mit Impulsen geistlich durch diese Zeit zu führen. Ebenso haben wir auch weiterhin unsere Informationen in den Kirchen ausliegen und aushängen. 

Gezielt wurden vor Ostern zwei Mal alle katholischen Haushalte, in denen Menschen über 75 Jahre leben, per Brief angeschrieben, um ihnen unsere Hilfsangebote (Einkaufshilfen usw.) anzubieten oder um ihnen einen Ostergruß und die Möglichkeit, das Licht der Osternacht zu bekommen, anzubieten. Das waren ca. 1.000 Briefe und ein ziemlich hoher Aufwand, der nur durch die Hilfe vieler ehren- und hauptamtlicher Kräfte geleistet werden konnte. Diese Aktionen haben aber viel positive Rückmeldung gebracht.

Zentrum: Nehmen Sie in Ihrer seelsorgerischen Arbeit, in Ihrer Kirche eine Zunahme dieser Suche nach Hilfe wahr? Also Krise als Konjunktur für die Kirche?

Christoph Bernards: Das kann ich weder mit einem klaren Ja noch mit einem klaren Nein beantworten. Ich nehme es wahr in den Bereichen, wo das Kirchengebäude an zentraler Stelle mit viel „Laufkundschaft“ drum herum steht. Konkret also eine Kirche wie St. Laurentius in der Bergisch Gladbacher Innenstadt. Hier sind immer Menschen anzutreffen, die dort Ruhe, Besinnung und vielleicht auch Hilfe und Orientierung suchen. Die Seelsorger dort vor Ort, sind auch täglich in der Kirche anzutreffen und stehen für Gespräche bereit. 

In unserer Pfarrgemeinde, die mit Ausnahme der Heidkamper Kircher eher ländlich geprägt ist, kommen meiner Beobachtung nach nicht mehr Menschen als sonst auch tagsüber in die Kirchen. Eine Zunahme in der Suche nach Hilfe oder Sinn kann ich im Einzelfall feststellen, wie ich eben schon mal erzählt habe. Auch stelle ich fest, dass die Impulse über das Internet oder die Möglichkeit, im Fernsehen oder digital Gottesdienste mit zu verfolgen, sehr gut angenommen werden.

Zentrum: Glaube, Liebe, Hoffnung – die christlichen Eckpfeiler scheinen immer weniger gelebt zu werden. Würden die Menschen eine Pandemie wie aktuell erlebt besser durchstehen, wenn wir wieder zu diesen Tugenden zurückfinden würden?

Christoph Bernards: Ich wäre nicht Priester, wenn ich da nicht klar „Ja!“ drauf antworten würde. Zum einen ist der Glaube, ich habe es eingangs ja erzählt, eine Kraft, die Halt gibt im Leben. Gerade dann, wenn alles weg zu brechen scheint, ist der Glaube an einen Gott, der mich persönlich kennt, liebt und mich niemals fallen lässt etwas, das trägt. 

Für Religionskritiker mag das vielleicht ein schwacher Halt, ein letzter Strohhalm sein. Ja, aber es ist ein Strohhalm und es ist ein Halt – besser als keinen Halt zu haben und in einer solchen oder ähnlichen Krise ins Bodenlose zu fallen. Interessant für mich ist aber die Wahrnehmung, dass gerade diese Werte von Glaube, Liebe und Hoffnung etwas sind, die im Augenblick unser Handeln, insbesondere das solidarische Handeln prägen. 

Wir hatten jede Menge Menschen, die bereit waren, sich für andere zu engagieren und ihnen zu helfen. Viel mehr Personen als Menschen, die nach Hilfe gefragt haben. Das hat mich schon froh gestimmt und mir gezeigt, dass diese Werte noch nicht verloren sind.

Zentrum: Pfarrer Bernards, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

 

Christoph Bernards ist leitender Pfarrer der Kirchengemeinde St. Joseph und St. Antonius in Bergisch Gladbach