Interview mit der Pfarrerin Jennifer Scheier

Kirche und Corona: Interview mit einer evangelischen Pfarrerin

 

„Geteiltes Leid ist halbes Leid“

Kirche lebt von Gemeinschaft, sagt Jennifer Scheier. Das ist aktuell jedoch nur schwer möglich. Sie ist neue Pfarrerin an der Evangelischen Kirche „Zum Frieden Gottes“ in Bergisch Gladbach-Heidkamp  und seit April auf der Pfarrstelle tätig. Den Kontakt zu ihrer Gemeinde stellte sie daher zunächst per Brief her. Die Corona-Krise wertet sie nicht als Konjunktur für die Kirche: Wer sich vorher nicht an die Kirche gewandt habe, werde sich auch jetzt eher in seinem persönlichen Umfeld Unterstützung suchen. Die Kirche sei vielmehr aktiv gefordert, sich auf den Weg zu den Menschen zu machen. 

Jennifer Scheier, Pfarrerin an der Evangelischen Kirche „Zum Frieden Gottes“ in Bergisch Gladbach-Heidkamp (https://zumfriedengottes.de)

Jennifer Scheier, Pfarrerin an der Evangelischen Kirche „Zum Frieden Gottes“ in Bergisch Gladbach-Heidkamp (https://zumfriedengottes.de)

Zentrum: Wie geht es Ihnen, und wie gehen Sie ganz persönlich als Pfarrerin mit der Situation in der Corona-Krise um?

Scheier: Gerade geht es mir ziemlich gut. Mein Mann ist mit den Kindern im Wald unterwegs und ich habe mal etwas Ruhe um entspannt zu arbeiten. Wir haben zwei kleine Kinder, die nun seit sechs Wochen rund um die Uhr betreut werden müssen. Unter normalen Umständen ging die Große jeden Tag in die Kita und zudem kam meine Mutter zwei Tage die Woche, um auf den Kleinen aufzupassen. 

Ich bin sehr froh, dass wir einen Garten haben und auch im Haus relativ viel Platz, dass das Wetter so schön war und auch, dass wir als Familie viel Zeit zusammen hatten. Aber inzwischen merkt man uns allen an, dass uns der Kontakt zu anderen Menschen fehlt, dass uns die Ideen ausgehen, um die Kinder bei Laune zu halten und auch, dass uns Eltern Zeit fehlt, um mal ganz für sich zu sein. 

Zentrum: Wie gehen Sie mit der Angst um, sich selber infizieren zu können – schließlich basiert Ihre Tätigkeit ja auf dem Kontakt mit Menschen?

Scheier: Ehrlich gesagt habe ich so gut wie keine Angst davor mich selbst zu infizieren, ich bin da vielleicht etwas zu entspannt, aber die statistische Wahrscheinlichkeit, dass es bei mir einen schweren Krankheitsverlauf gibt ist doch relativ gering und das Leben ist immer einem gewissen Risiko ausgesetzt, wir schließen nur gerne die Augen davor. Allerdings kann ich wiederum andere Menschen anstecken, die mir wichtig sind und bei denen das statistische Risiko deutlich höher ist schwer zu erkranken. 

Da sehe ich auch die Gefahr in meinem Beruf, nicht nur für mein persönliches Umfeld, sondern auch mein berufliches. Gerade im Hinblick auf die wieder ermöglichten Gottesdienste, in denen doch zum größten Teil Menschen anzutreffen sind, die einer Risikogruppe angehören. Ich glaube da stehen wir als Kirche auch in der Verantwortung die Gesundheit der Menschen voranzustellen. Dennoch finde ich die Situation sehr traurig, denn nicht nur mein Beruf basiert auf Kontakt, sondern meiner Ansicht nach beruht Kirche insgesamt auf Kontakt. Kirche lebt von Gemeinschaft. Auch deshalb habe ich diesen Beruf gewählt, weil ich gerne mit Menschen zusammen bin und nun ist genau das nur schwer möglich.

Zentrum: Die Corona-Krise stellt nicht nur in gesundheitlicher, sondern auch in psychischer Hinsicht eine besondere Herausforderung an die Menschen: Drohende Arbeitslosigkeit, Isolation, Lagerkoller bis hin zu Depression, aber auch Angst um die Gesundheit und die Zukunft, Trauer. Äußert sich dies auch darin, dass die Menschen Zuwendung in Ihrer Kirche suchen?

Scheier: Zur Zeit nehme ich das nur in sehr geringem Maß wahr, aber das kann zum einen dem Umstand geschuldet sein, dass ich selbst erst seit April auf dieser Pfarrstelle tätig bin, zum anderen ermöglicht das Internet auch einen digitalen Zugang zu Angeboten der Kirche, wobei niemand mehr an die Kirche vor Ort mehr gebunden ist. 

Zentrum: Durch die Kontaktsperren sind oder waren direkte Kontakte auf ein Mindestmaß reduziert. Wie ist oder war angesichts dieser Regulierung die Seelsorge für den Einzelnen in Krisensituationen überhaupt möglich? Wie organisieren Sie das Gemeindeleben insgesamt in diesen Zeiten? Gibt es digitale Angebote? Und wie erreichen Sie Menschen, die nicht unbedingt eine Affinität zu WhatsApp, Youtube oder Facebook haben?

Scheier: Es heißt nicht umsonst „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Auch hier denke ich ist der fehlende Kontakt das, was es so schwer macht die Ungewissheit und Angst auszuhalten. Ich versuche deshalb wenigstens telefonisch Kontakt zu Menschen aufzubauen, deren Telefonnummern wir haben. Darüber hinaus haben wir als Bezirk Kontakt zu unseren Gemeindegliedern gesucht, indem wir einen Brief verschickt haben. 

Darin habe ich mich als neue Pfarrerin im Probedienst vorgestellt und wir haben den Menschen Mut gemacht, sich bei Bedarf gerne an uns als Kirche zu wenden. Bisher gab es zudem jede Woche eine kurze Andacht in schriftlicher Form, die zum einen an der Kirche aushing und auch auf unserer Homepage abzurufen war. Die Nachbarbezirke haben außerdem Videoandachten und Gottesdienste zur Verfügung gestellt, als auch Kurzandachten mit Predigt als Podcast angeboten.

Zentrum: Nehmen Sie in Ihrer seelsorgerischen Arbeit, in Ihrer Kirche eine Zunahme dieser Suche nach Hilfe wahr? Also Krise als Konjunktur für die Kirche?

Scheier: Ich glaube so einfach gewinnt die Kirche nicht an Relevanz für Menschen, wenn diese hierzu keinen Bezug mehr haben. Wer sich vorher nicht an die Kirche gewandt hat, wird sich auch jetzt eher in seinem persönlichen Umfeld Unterstützung suchen. Wir können als Kirche weder hoffen noch erwarten, dass eine Krise uns die Menschen wieder in die Kirche zurückbringt. Gott selbst hat sich in Jesus zu uns Menschen auf den Weg gemacht und auch Er hat nicht gehofft und erwartet, dass wir zu ihm kommen. Wir als Kirche, als Nachfolger Jesu müssen uns also auf den Weg zu den Menschen machen. Doch ich gebe zu, dass mir gerade das in Zeiten von Corona erschwert wird.

Zentrum: Glaube, Liebe, Hoffnung – die christlichen Eckpfeiler scheinen immer weniger gelebt zu werden. Würden die Menschen eine Pandemie wie aktuell erlebt besser durchstehen, wenn wir wieder zu diesen Tugenden zurückfinden würden?

Scheier: Wenn Sie von zurückfinden sprechen, klingt es so, als seien wir Menschen mal “besser“ gewesen und wären davon abgerückt. Ein bisschen wie „früher war alles besser“, aber das glaube ich nicht. Meiner Ansicht nach sind Glaube, Liebe Hoffnung keine Erwartungen, die an uns gestellt werden, denen wir schlechte Menschen nicht nachkommen. Ich glaube es sind Geschenke Gottes, doch oft wählen wir diese nicht zu öffnen oder zu nutzen. Wenn Sie aber fragen, ob wir so etwas wie diese Pandemie mit Glaube, Liebe und Hoffnung besser durchstehen würden kann ich nur sagen: Ja! Ich kann also nur jeder und jedem wünschen, diese in ihrem Leben zu entdecken und gut durch die nächste Zeit zu kommen.

 

 

Das Interview führte Holger Crump für das zentrum für psychische gesundheit und wohlbefinden in Bergisch Gladbach unter der ärztlichen Leitung von Michael H. Lux.

Jennifer Scheier, Pfarrerin an der Evangelischen Kirche „Zum Frieden Gottes“ in Bergisch Gladbach-Heidkamp (https://zumfriedengottes.de)